Sven Heuchert

minor regional novelist

Schnee in Much

das ist schon so lange her, ich weiß, sehr lange, aber … auch nach all den Jahren, Jahrzehnte sind das ja mittlerweile … da lässt mich das immer noch nicht los, ich kann das einfach nicht vergessen, ich kanns einfach nicht, das ist … ja, wo soll ich da anfangen? Winter 71’, war ein kalter Winter, viel Schnee, viel Nebel, so weit ich mich erinnern kann. Nein, kalt wars, bitterkalt, und auch neblig, viel Nebel, Nebel, ja …

… damals, da hab ich noch bei der KT in Troisdorf gearbeitet, die hatten ja gerade in der Poststraße auf zwei Stockwerke erweitert, die Produktion lief ja, Wirtschaftswunder, so war das … gutes Geld hab ich da verdient, und auch wieder ausgegeben. Kalt wars, also daran kann ich mich sehr genau erinnern, kalt und viel Nebel und … ich war verheiratet … glücklich ist jetzt die andere Sache. Eigentlich nicht. Nie. Das war so eine Sache – so hat man das eben gemacht. Ich bin in Scheidt aufgewachsen, das ist ein kleines Dorf vor Much, eine Straße nur, im Grunde, paar Häuser … und so, so war das. Das ergibt sich einfach, das suchst du dir nicht aus. Ich hab die Gitta geheiratet, das war 68’, in dem Jahr war ja viel los, hier, Rudi Dutschke und so, aber davon wussten wir ja gar nichts, da hat man fast nix von mitbekommen, wir haben da vielleicht mal was in der Zeitung gelesen … aber, die weite Welt war das eben nicht, und so richtig verstanden … na ja. Wir sind ja gleich um die Ecke gezogen, Steinwurf von meinem Elternhaus, und was will man da machen? Da guckt dir jeder ins Küchenfenster. Du konntest nicht mal auf deinem eigenen Balkon einen schmutzigen Witz erzählen, das ging nicht, da waren die Ohren überall. Und hast du mal fünf Flaschbier getrunken, da wusste das die ganze Nachbarschaft, dein eigener Vater wusste das! Also, ich frage Sie, wie sollte das schon enden?

… die Doris hab ich dann in einer Kneipe kennengelernt, ganz blöd. War so, ich weiß nicht … wir waren einfach was trinken, Kollegen und ich, nach der Arbeit, die gingen immer in so eine Kneipe unten an der Sieg, das Alpenhäuschen, so hieß das, gibt es schon lange nicht mehr, und da saß sie an der Theke, gleich neben uns. Ich war das erste Mal mit, ich hatte es nicht so mit dem Weggehen, und meine Kollegen waren auch alle ein paar Jahre älter als ich. Jedenfalls saß sie da, und … sagen wir, ich wusste, sie war jung – zu jung im Grunde, das wusste ich natürlich, aber wie das so ist … drei, vier, fünf Kölsch und dann vergisst man das eben, man vergisst das ziemlich schnell. Das war erstmal alles ganz unschuldig, flirten und Blicke, was man so macht., unbeholfen und schüchtern, ich war nie so der Aufreißer, ich meine, warum auch? Das brauchte ich ja nicht. Ich war ja verheiratet, da brauchte ich das nicht, dachte ich … ich hab mich da nie so groß drum gekümmert, die Gitta kannte ich ja schon ewig, quasi aus dem Sandkasten, da denkt man über so was gar nicht nach, man ist dann zusammen und dann Ende, aus. Und, ich hab mich gar nicht getraut, ich hab mich gar nicht getraut, sie anzusprechen, also zuerst, aber dann … wir wurd richtig heiß und kalt, und natürlich guckten auch die Kollegen … ich hab sie dann nur gefragt, ob sie öfters da ist, in dieser Kneipe, und … Nein, die Sache mit der Doris, die ist ja ganz wichtig, denn nur deswegen … aber was rede ich hier eigentlich? Natürlich, so wars, da hat sich dann was draus entwickelt, ich bin noch mal hin, und noch mal, natürlich alleine, und was soll ich sagen? Klar hab ich meine Frau betrogen, ich hab meine Frau betrogen vom Punkt Eins an, das ist die Wahrheit. Aber da war ja auch nix, von Anfang an, nix, Sie wissen schon, was ich meine, ja? Bei der Doris … da war das eben anders, da war das, da war das leidenschaftlich. Und man kann das dann nicht nur einmal machen, man kann das nicht bei einem Mal belassen, das geht einfach nicht. Ich war eben jung.

Ich hab das geheim gehalten, sicher … vor den Kollegen, und natürlich vor der Familie und so. So gut es ging. Zuhause treffen ging bei ihr ja nicht, wegen der Eltern, die hätten mir die Hölle heiß gemacht, und … gab da so einen kleinen Pinte auf halbem Weg,
direkt an der Sieg, da hatten die Fremdenzimmer, die wurden meistens von Monteuren gemietet … war günstig und gut gelegen, Abfahrt hinter der Brücke, und man konnte hintenrum parken … ich hab denen irgendeine Geschichte erzählt, der Besitzer von dem Schuppen war Grieche, soweit ich mich erinnere, und ich glaub, den hat sowieso nur das Geld interessiert, der hat keine Fragen gestellt. Ich hab mir immer wieder gesagt, jetzt hör zu, sie ist alt genug, um in solche Kneipen zu gehen, aber … im Grunde wusste ich es ja. Alle redeten sie von Sex und von Freiheit und wasweißichnicht, und wie toll das alles sein kann, nur ich, ich … naja. Jetzt lassen Sie mich doch einfach erzählen, ich komm da schon noch drauf, ich, ich muss hier erstmal meine Gedanken sortieren, ist nicht so, dass mir das leicht fällt, das ist … danke, danke, ja, das wäre nett. Wissen Sie, es ist so – ich habe das noch niemandem erzählt, Sie sind ja der Erste, der erste Mensch, der das … und mir war das nicht bewusst, über die Konsequenzen, da hab ich ja gar nicht nachgedacht, ich wollte nur, ich wollte … und mag schon sein, dass ich sie verführt hab, ja, ich hab sie verführt, das ist richtig, aber damals, da … und es war so, sie wollte das auch, sie wollte das ja auch!

Bin damals einen K 70 gefahren, nagelneu, neuneinhalb Tausend, mein Vater hat noch ganz schön was beigetan, weil er wollte, dass ich direkt ein größeres Auto fahre, als ich die Gitta geheiratet hab, und das war ja ein Viertürer, Mittelklasse, mehr Platz als mein alter 411, von wegen Familienplanung und alles … aber ich bin mit dem Wagen einfach nicht klargekommen, Frontantrieb, und dann bei schlechtem Wetter, das war nichts … ich hatte schon mal Probleme auf dem Weg dahin, also in diese Pinte, da bin ich von der Fahrbahn runter, in ein Feld rein, aber zum Glück ist da nichts weiter passiert … das war immer meine größte Angst, dass ich da einen Unfall baue und nachher erklären muss, was ich da gemacht hab, wie, warum, weswegen? Weswegen warst du denn da, Hans? Denn ansonsten hab ich da ja nichts zu suchen gehabt … ja, ich hab gesagt, ich bin da bei einer Sache dabei, der Herr Reither, der damals einer der Inhaber der KT war, der sagte immer, wir sollen uns alle an Willy Brandt erinnern, denn der hat gesagt, der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden, und ich wusste, dass die im Hintergrund an einer Sache arbeiteten, an einem Abgaswäscher, der dann in der chemischen Industrie eingesetzt werden sollte, und da hab ich gesagt, der will eben, dass ich dabei bin, um direkt beurteilen zu können, ob das umsetzbar ist, der will einen aus der Fertigung, praktische Erfahrung, so, das hab ich gesagt, und das sind Überstunden, und Überstunden sind gut, Geld kann man immer gebrauchen.

Das wars dann, so hatte ich dann die Zeit, immer Donnerstags nach der Arbeit, da bin ich gleich los, ich hab sie unter der Unterführung abgeholt, sie hat da immer auf mich gewartet, da unten an der Ampel, als würde sie drauf warten, dass es Grün wird, so hab ich dir das gesagt, das fällt dann nicht weiter auf. Na ja, so war das eben. Wir hatten ja immer nur vier, fünf Stunden, das … wir sind durch den Eingang an der Seite, jedesmal das gleiche Zimmer, hinten im Gang links, ich bin rein und hab immer sofort die Gardinen zugezogen, obwohl da nichts weiter war, nur die Siegaue, aber man kann ja nie wissen, hab ich gedacht. Sie war klug, sie war sehr klug, sie wusste, was in der Welt los war, sie hat mir immer erstmal erzählt, was so alles passiert ist, Berlin, Frankfurt, Amerika – ich weiß nicht, wo sie das herhatte, aber … wir saßen da auf dem Bett und sie hat einfach erzählt, dies, das, das war Wahnsinn, und sie hatte so viele Ideen, sie war wirklich klug, wirklich. Ich hab mich immer gefragt, tue ich selbst heut noch, was sie mit einem wie mir gewollt hat. Das habe ich nie verstanden, was sie an einem wie mir fand, und warum, ich denke mir immer, die hätte ganz andere haben können, aber ich, ausgerechnet ich!

Ging eine ganze Zeit lang gut, das war schon wie in Traum, aber man weiß ja doch irgendwie, wie sowas ausgeht, das kann ja gar nicht funktionieren, die Zeit da in diesem Zimmer, die war wunderbar und alles, die Doris, toll und klug und intelligent, und zart, sanftmütig, alles was man sich wünscht, wünschen kann, und da, da war ich sowas wie frei, glaub ich, so hab ich mich jedenfalls gefühlt, als müsste ich da sein, in diesem Zimmer, in dieser billigen Absteige, als würd ich dahingehören, wir beide, als würden wir da hingehören, das war die Welt für mich, für uns, aber man weiß ja doch, wie das ist, ich war fünfundzwanzig Jahre alt, ich wusste, dass man nicht alles haben kann, das war mir klar, und dass Träume meistens Träume bleiben, das sowieso. Und als die Gitta dann schwanger wurde, da wusste ich gleich, das geht jetzt nicht mehr, ich muss das beenden, das muss ein Ende haben, das wurde dann ernst, der Ernst des Lebens, wie man sagt, aber ich bin einfach nicht von ihr losgekommen, ging nicht, ich wusste nicht, wie ich das hätte machen sollen, denn, es war so, wenn ich das jetzt beendet hätte, dann hätte das bedeutet, dass … ja? Dann hätte es nur noch das gegeben, dieses Leben, dieses eine Leben, in Scheidt, in diesem Haus so groß wie ein Hamsterkäfig, oder so klein, und nur n Steinwurf von meinen Eltern entfernt … da denkste noch mal drüber nach, ob jetzt oder nicht später, oder doch jetzt, oder sich noch was Zeit lassen. Ich hab ihr nix davon erzählt, dass die Gitta schwanger war, das wär nicht gut gewesen, aber ich nehm an, sie hats gemerkt, sie hat immer wieder gesagt, dass ich mich verändert hätt und was denn los ist, das hat sie gefragt, aber ich wollt nicht damit rausrücken, dass hätte sich nicht richtig angefühlt, weil …

War ja ein kalter Winter, hatte ich schon gesagt, und an diesem Donnerstag, an diesem Tag, da, da hab ich sie sitzengelassen – also, im Grunde wollte ich das, das wollte ich, ich hatte gerade Feierabend gemacht bei der KT, und fragte mich noch ein Kollege, der sagte, hör mal, solln wir nich nochmal n Kölsch zusammen, weißte?, und ich hab gesagt, heut nich, heut is ungünstig, aber es war ja so, ich wollt sofort los, ich wollt sofort los, ich wollte nach Hause, nach Scheidt, ich wollte da in der Küche sitzen und alleine sein, einfach nur allein sein, das wollte ich, ich wusste ja, die Gitta, die ist auch da und der ihr Bauch wächst und wächst, das hat man ja gesehen, das hat jeder gesehen, aber ich wollt da sein und zu mir selbst sagen: So ist das jetzt, so und nicht anders, und das wird auch so bleiben, das wird so bleiben bist du in der Kiste liegst. Und ich dacht noch, komm, auf dem Weg machste kurz Halt und kaufst dir bei Kaisers n Bismarck, trinkst dir das so weg, trinkst dir den Frust weg, das wollt ich, aber als ich dann im Auto saß, als ich da hinterm Steuer saß, da dacht ich, nee, so kanns wirklich nicht weitergehen, so kann das nicht zuende gehen und … nein, ich war zu feige, ich bin einfach zu feige, ne feige Sau biste, und das hat so an mir genagt, das hat so in mir gegärt, dass ich dann auf halber Strecke um bin, und da …

bin ich in den Nebel, dichter Nebel, richtige Suppe, und Schnee, dick Schnee. So war das aber immer damals, wenn ich mich so zurückerinner, da lag immer Schnee im Winter, und Schnee satt, nicht so wie heute, bisschen Matsch, von wegen Klima und alles. So war das. Und ich bin einfach irgendwo rechts ran an der Landstraße und hab auf nem Wirtschaftsweg gewendet, Reifen drehten durch und alles voller Schlamm, Motor soff ab und ich sitz da in der Kiste, und die roch noch so neu, und ich musste an den Bauch von der Gitta denken und an die Doris, an die Haut von der, kann man nicht beschreiben, ganz weich, ganz weich war die, und ich saß da, und um mich rum, da schneit und schneits wie sonst was und der Atem, hier, kleine Schafswölkchen, und ich sitz da im Dunkel und starr in den Schnee, tja, und das ist die Wahrheit, das erklärt das vielleicht, warum und wieso und …

der stand an der Straße, gleich da vorm Graben, und nackt. Ganz nackt, splitterfasernackt. Ich dacht ja, ich dacht zuerst an ein Reh, an Wild, was da wechselt, weil ich den Schatten gesehen hab, da im Schnee, und das war so … ich kriege das nicht raus, ich krieg das einfach nicht raus aus mir, selbst heute nicht, bis heute sehe ich den da stehen, als wär er grad erst ausm Schnee gekommen, wie so n kleines Kind, n Neugeborenes, ich wusste ja von nichts. Ich bin an ihm vorbeigefahren, einfach dran vorbeigefahren, ich hab mich nicht mal umgeguckt … nich in den Rückspiegel, nichts, einfach weiter, bin weiter, weiter bis an die Unterführung, aber da war nichts, ich glaub, die Doris hat das geahnt, sie hat das geahnt, oder sie hat es von sich aus nicht mehr gewollt, ich bin zweimal, dreimal an der Ampel vorbei, immer ganz langsam, weil sie die Straße da noch nicht geräumt hatten, aber natürlich auch wegen … aber, sie kam nicht, ich hab sie nie wieder gesehen, ich hab sie danach nie wieder gesehen, ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist, was sie heute macht, keine Ahnung.

Von der ganzen Sache hab ich erst in der Zeitung gelesen, paar Tage später. Mir war das nicht klar, mir war das nicht bewusst, was da eigentlich passiert ist, ich meine, wer denkt an sowas? Doch keiner, oder? Grausam, ja, grausam, kann ich da nur sagen … so sind die Menschen wohl, manchmal denk ich, es wär besser, wenn … aber na ja. Und, ich weiß nicht, ich glaub nicht, dass ich das sofort wusste, dass das ein Fehler ist, ich meine, wie kann man das auch ahnen, was los war, wenn ich das gewusst hätte, dann … aber jetzt, später, da kann man das immer sagen, oder? Da fällts einem leichter, das zu beurteilen, obs n Fehler war oder wasweißich … der stand da eben, nachts, nackt im Straßengraben, und ich hab das nicht gesehen, ich hab nicht gesehen, dass der gefesselt war oder so, das hab ich erst gelesen, das hab ich in der Zeitung gelesen, dass es da um ein Verbrechen geht und überhaupt, dass die den da an einen Baum gebunden haben, nackt an einen Baum gebunden – ich frage Sie, wer kommt auf so eine Idee, und ich hatte ja auch noch was anderes im Kopf, da meine Familie, da die Doris, und ich, ich dazwischen, und dann das … ein Junge nackt am Straßengraben, was hätten Sie da, ich meine, was hätten sie gedacht, gemacht? Kann man nicht sagen, oder? Kann man nicht genau sagen, wie man sich da verhalten hätte.

Und dann, doch, als ich das in der Zeitung gelesen hatte, als sie die dann auch verhaftet hatten, die, die dafür verantwortlich waren, Gastarbeiter warens, glaub ich, ja, Jugos, da, da wusste ich dann, nein, war nicht richtig, der arme Junge, und natürlich denkt man das, könnte der, hätte der … wäre der noch am leben, wenn du angehalten hättest, hättest du nur kurz gefragt, Wasn los hier?, Was machstn hier? Jung, du bist ja nackt!, spinnst du eigentlich?, aber nein, nee, nein, das hab ich eben nicht gemacht, ich bin einfach weitergefahren. Man redet sich dann auch was ein, später, später redet man sich das ein, vielleicht ist das doch ne Falle gewesen, vielleicht n schlechter Scherz, man kommt da auf alles Mögliche, man denkt sich alles Mögliche, könnte dies, könnte das, und du hättest nichts machen können, du hättest nichts anders machen können, es hätt nix geändert, aber ob das stimmt?, das sind ja diese Fragen.

All die Jahre, und das bleibt bei einem, ich seh ihn ja immer noch vor mir, ich seh ihn da stehen als sei er selbst aus Schnee, so ganz hell und … ich weiß nicht, und manchmal denk ich schon, da denk ich, dasser doch den Mund aufgemacht hat, das er mir was sagen wollte, dass er was rufen wollte, dass er um Hilfe rufen wollte, dasser mich so gesehen hat wie ich ihn gesehen hab, und dass ich vielleicht der letzte Mensch war, den er gesehen hat, ausgerechnet ich!, aber ich bin mir nie sicher, ich kann mir nie sicher sein, es gibt so Sachen, so Erinnerungen, denen kannst du nicht vertrauen, die sind auf einmal da und dann weißt du nicht, ob das alles wirklich so passiert ist, deswegen …

Ich weiß, ich weiß schon, dass das verjährt, unterlassene Hilfeleistung, das ist mir bewusst, aber … ich hatte das auch lange Zeit vergessen gehabt, ich hab nicht mehr drüber nachgedacht, auch über die Doris, nein, was hätte werden können oder sollen, das hab ich mir richtig verboten, denn es führt ja zu nichts, das macht einen nur unglücklich, und jetzt, jetzt bin ich zufrieden, wenn man das so sagen kann, zufrieden, ja. Mein Sohn ist erwachsen, längst erwachsen, und mit der Gitta komme ich gut klar, sie ist ein guter Mensch, treu, zuverlässig. Aber, es ist so, man hat da letztes Jahr diesen Gedenkstein aufgestellt, genau an der Stelle, wo der Junge dann erfroren ist, in diesem Winter, damals, 71’, und ich fahr da noch oft dran vorbei, weil ich immer noch in Scheidt wohne, nicht mehr in dem kleinen Haus da, natürlich in einem größeren, aber ich bin in der Gegend geblieben, war dann später Techniker bei Reifenhäuser, bin jetzt seit ein paar Jahren zuhause. Und eigentlich gehts mir gut, nur das … ich fahr dran vorbei, und das ists jedesmal wie ein Stich, ja? Ein Stich …

… da kommt dann alles zusammen, ich denk an die Doris und an den Jungen und an den Schnee, unds gab, glaub ich, nie wieder so einen Winter, nie wieder so viel Schnee wie damals, Schnee, Nebel, dicht wie nur was, und ich war noch nie da, an dem Stein, ich wollt immer mal anhalten und mir das ansehen, mir das genauer ansehen, aber ich kriegs nich hin, nein, irgendwie … und, ich weiß nicht, was Sie damit jetzt machen, das ist ja ihre Sache, ich konnt das aber nicht mehr, nicht mehr so, musste raus, musste einfach raus, das könnense doch verstehen, ja? Dass so was raus muss, aus einem, sonst, ja … sonst. Und jetzt denke ich an beide, manchmal sogar an beide gleichzeitig, auch wenn ich mich nicht mehr ans Gesicht von dem Jungen da erinnern kann, ich hab den ja kaum gesehen, nur ne Sekunde, vielleicht zwei, und an was will man sich da schon erinnern? Das war nicht mehr als n Schatten, n Schatten im Schnee, oder? Nur n Schatten im Schnee. So wars.

Ich hoffe, du kannst mich hören

Sie saßen sich am Küchentisch gegenüber. Im Aschenbecher glühten zwei Zigaretten.
Möchten Sie noch Kaffee?
Der Mann schüttelte den Kopf. Nein, nein danke.
Sie blickte aus dem Fenster, dann auf die Digitaluhr am Herd.
Der kommt nicht mehr, oder was meinen Sie?
Sie schüttelte den Kopf. Ich weiß es nicht, keine Ahnung, ich meine …
Ja, sagte der Mann. Sehen wir, sehen wir dann ja. Er holte die Zigarette aus dem Aschenbecher und nahm einen Zug. Aber ich glaub, der kommt noch. Da bin ich mir fast sicher. Wer schon so weit gegangen ist, der …
Ich glaub auch, sagte sie. Sie führte ihre Tasse an die Lippen. Wohnen Sie denn schon lange hier?
Paar Jahre.
Ist wirklich sehr nett, dass Sie mir helfen, ich hätte nicht gewusst … und zur Polizei, ich meine, was sagt man denen?
Tja. Was sagt man denen? Was soll man denen da jetzt sagen? Und ob die kommen, und ob die auch was machen, das ist ja die andere Frage.
Das habe ich auch gedacht, und nachher … wenn der jetzt doch nicht kommt, dann steht man da und … wie sieht das denn aus? Der ganze Wirbel und dann? Aber ich wollte jetzt auch nicht alleine in der Wohnung sein, ich meine … wenn der nachher doch kommt, einfach so, wenn der dann hier vor der Tür steht oder sonstwas … da wollte ich nicht alleine sein. Und Sie, jetzt als direkter Nachbar, da dachte ich …
Aber kennen tun Sie den ja nicht, oder? Ich meine persönlich.
Sie hob die Augenbrauen. Nein, aber ich denke, ist gut möglich, dass das irgendeiner aus der Nachbarschaft ist – hier, aus dem Haus oder so. Klang auf jeden Fall jung, sehr jung, sowas hört man ja, oder? Ich meine, an der Stimme.
Er nahm noch einen letzten Zug und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Wie kommt einer nur auf so eine Idee? Wie kann man nur auf so Ideen kommen?
Ich weiß nicht, ich weiß es wirklich nicht … ich meine, keine Ahnung. Ist doch an sich eine gute Gegend, oder? Hätte ich jedenfalls nicht erwartet, so was.
Ja, ist an sich eine gute Gegend. Er lächelte. An sich ist es eine gute Gegend.
Das dachte ich ja auch, und jetzt das … aber steckt man nicht drin, oder?
Nein, sagte. Da steckt man nicht drin.
Sie sahen beide auf die Uhr.
Kurz nach Halb, sagte der Mann. Ich denke, der hat vielleicht doch Muffensausen bekommen.
Aber was ich nicht verstehe, sagte sie. Wie ist der an meine Nummer gekommen? Ich meine, das ist ja die eine Sache … Wissen Sie, ich verstehe das ja. Vielleicht, na ja, vielleicht steht der eben auf … Sie wissen, was ich meine, ja? Das verstehe ich ja alles, nur dann so? Ich meine, wenn man dafür Geld bezahlen will, alles gut, aber das kann man doch anders machen, oder?
Also, nach allem, was Sie mir erzählt haben, nun, ich sag mal so: Das war wahrscheinlich einfach eine Art Mutprobe. Die haben Sie irgendwo gesehen, wasweißich, beim Einkaufen oder draußen auf dem Hof, und dann … ich meine, ich war auch mal jung, so ist das nicht, und gucken, ja, das ist das Eine, aber dann anrufen, einfach anrufen und fragen, ob Sie nicht … also, nein, das wäre mir ja im Traum nicht eingefallen. Nie!, wäre mir das eingefallen.
Sie lachte. Ach, das ist doch schon verrückt irgendwie, oder?
Na ja, verrückt … ich weiß nicht, ich finde das eher … ich, ach, ich kanns gar nicht sagen. Mir würde sowas nie einfallen.
Ja, sagte sie. Das glaube ich, das glaube ich gerne.
Er lächelte. Wo haben Sie denn vorher gewohnt, ich meine, auch hier, in der Stadt?
In Kaldauen, Lendersbergstraße, ist auch schön da, kennen Sie die Gegend?
Mein Bruder wohnt im Donnerschlag, über der Kneipe da.
Ach ja, so klein ist die Welt, sehen Sie mal!
Ja, manchmal ist das so, ich meine, ist auch keine große Stadt, oder?
Nein, Provinz, aber das hat ja auch was für sich, finde ich, ist nicht so groß, überschaubar, und man hat direkt alles fußläufig, alles was man so braucht, einkaufen, Ämter und alles, oder?
Er nickte.
Und ich könnt nicht in einer Stadt wie Köln leben, einfach zu groß, zu voll, zu viele Menschen, ich weiß nicht. Zu dreckig auch.
Nein, sagte er. Nein, ich auch nicht.
Und trotzdem, sagt sie, trotzdem passiert das gerade hier, in dieser kleinen Stadt.
Spinner gibt es ja überall.
Da haben Sie wohl Recht, stimmt. Leider ist das so.
Aber schön haben sie es hier, sagte er. Wirklich.
Na ja, sagte sie und winkte ab. Musste alles schnell gehen, hab nicht viel Zeit gehabt, ich musste schnell aus der alten Wohnung raus, das war sowieso alles Wahnsinn, was da gelaufen ist, und ich hab halt eben das Beste draus gemacht.
Kann man nicht anders sagen, ist wirklich schön geworden, gemütlich. Ich mag das ja, wenn die Wände ein bisschen Farbe haben, nicht nur einfach weiß.
Ja, ich auch, also nur Weiß, das ist so … unpersönlich, finde ich.
Stimmt, sagte er. Unpersönlich. Unpersönlich ist das richtige Wort.
Oder?
Er nickte. Ich glaub, der hat wirklich kalte Füße bekommen. Der taucht nicht mehr auf.
Das glaube ich langsam auch … der kleine Bastard.
Er lachte.
Ja, oder nicht? Wirklich.
Ist die Frage, ob der jetzt nicht einfach irgendwo auf Sie wartet. Draußen, meine ich. Sollten Sie vielleicht etwas aufpassen in der nächsten Zeit, ich mein ja nur.
Sie haben Recht, stimmt, das könnte schon sein. Und das mit der Nummer, das stört mich immer noch. Woher hat er die? Das frage ich mich. Wie kommt man einfach so an die Handynummer von jemandem?
Vielleicht war es ja doch einer, der Sie kennt? Weiß man ja nie. Manchmal … Haben Sie sich denn irgendwo neu angemeldet, wo die ihre Nummer brauchten?
Also, die Nummer hier, die gebe ich keinem, die hat ja noch fast niemand, die habe ich ganz neu erst, deswegen kann ich mir das eigentlich nicht vorstellen, aber …
Okay, sagte er. Dann …
… aber naja, vielleicht hat der Frank, das ist mein Ex …
Ich mein, hat er diese ganz neue?
Ich bin mir nicht mehr sicher, sagte sie und nahm eine Zigarette aus der Schachtel. Ich weiß es einfach nicht mehr. Das ging ja alles so schnell! Aber das könnte schon sein, dass der die Nummer hat. Kennen Sie das auch, wenn man sich an manche Dinge einfach nicht mehr erinnern kann?
Manchmal ist das eben so. Macht man nix.
Ja, da haben Sie wahrscheinlich Recht, manchmal ist das so. Sie zündete die Zigarette an. Nein, ich glaube, er hat die Nummer tatsächlich. Er hat diese Nummer, die neue Nummer. Ich habe sie ihm gegeben, doch, ich habe sie ihm gegeben … weil, es ging da um ein paar Kleinigkeiten, Sachen, die er noch in der Wohnung hatte undsoweiter, und … jetzt, ja, jetzt erinnere ich mich, ich erinnere mich wieder …
Er atmete aus.
Das, nein, das glaube ich jetzt aber nicht, sagte sie. Dass der … nein, also das traue ich ihm nicht zu, dass der sowas macht. So ist der auch wieder nicht. Vielleicht hat er die irgendwem weitergegeben, oder dem gesagt, der soll mal hier, und so, Sie wissen, was ich meine?
Haben Sie denn mit dem, also mit ihrem Ex, haben Sie mit dem zusammen in der Wohnung in Kaldauen gelebt?
Sie nickte.
Ich meine … ich will ihnen ja nicht zu nahe treten, auf keinen Fall, oder mich da jetzt in irgendetwas einmischen, das steht mir überhaupt nicht zu, nur … aber ich denke, vielleicht … wegen der Trennung? Manche Männer sind so, die verkraften das nicht so gut, und dann …
Nein, also … ich sag mal, wir haben uns einfach getrennt. Wie das halt bei so einer Trennung ist. Kennt man ja. Sie blickte aus dem Fenster.
Ja, sagte er. Klar.
Ist schon in Ordnung, sagte sie und machte eine Handbewegung. War nicht alles schlecht.
Ich verstehe, sagte er.
Die Kinder im Hof hatten aufgehört zu spielen. Draußen dämmerte es bereits.
Vier Jahre, sagte sie dann und strich die Asche ihrer Zigarette ab.
Er nickte.
Jetzt, sagte sie. Diese Ruhe, ja? Das mag ich. Ich mag, dass es hier so ruhig ist.
Ist ja nicht immer so ruhig, die Kinder und die Autos, tagsüber …
Ja, aber jetzt, um diese Zeit.
Ja, sagte er. Ich sitze sonst immer auf dem Balkon drüben bei mir, ich rauche ja nur draußen.
Der Balkon, ja. Der ist super. In Kaldauen hatte ich ja keinen, das ist also echt ein großes Plus hier, der Balkon, vor allem jetzt, wenn es so warm wird wieder.
Ich sitze auch gern aufm Balkon, sagte er. Ich kann sogar die Abtei sehen von da aus, und wenns dann dämmert, schalten sie die Beleuchtung an. Ist dann wie auf ner Postkarte, die Ansicht, wirklich.
Der hat mir noch Geld geschuldet, deswegen … sagt sie leise. Wissen Sie? Mein Ex. Ich habe ein paar Sachen von ihm behalten, Möbel und so, Kleinigkeiten, weil ich wusste, oder eher, weil ich geahnt hab, dass der das nicht so genau nimmt, mit dem Geld, meine ich. Hatte auch keine Schlüssel mehr von der Wohnung, die hat ihm der Vermieter vorher abgenommen. Ich hab ihn drum gebeten, der hätte mir sonst die Bude leer geräumt … und, na ja, war sicher ein Fehler von mir, ihm die Nummer zu geben, das hab ich von vornherein gedacht. Eigentlich wars nur, um noch die Sachen zu regeln, Verträge und all das … aber dann dachte ich, der lässt mich jetzt nicht mehr in Ruhe, wenn er die neue Nummer hat, dann ruft der ständig an und so, ob wir es nicht doch noch mal versuchen sollen, aber ich muss sagen, bis jetzt, also bis jetzt …
Die Stimme, also am Telefon, bei dem Anruf, da hatten Sie ja gesagt, also die hätten Sie doch auch sicher wiedererkannt, denk ich … die Stimme von ihrem Ex.
Sicher, sagte sie. Klar, sicher.
Ist schon zehn, zehn durch, ich glaub, ich muss so langsam los.
Fünf Minuten noch, ja? Nur damit ich sicher gehen kann, jetzt wo es dunkel draußen ist, also … okay?
Okay.
Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll: Ist wirklich, wirklich sehr nett von Ihnen, vielen Dank, dass Sie mich nicht alleine lassen, jetzt, hier so …
Ist ja kein Problem, gar kein Problem.
Sie lächelte. Und Sie?
Was ich?
Ich meine, Sie leben alleine, oder … leben sie alleine?
Ja, sagte er. Ich lebe alleine, das ist richtig.
Sie schwiegen für einen Moment.
Ich war dreimal verheiratet, sagte er dann und lachte. Also, ich kenn mich aus mit Trennungen.
Manchmal passt es einfach nicht, sagte sie. Da kann man nichts machen. Meine Mutter hat immer zu mir gesagt, jeder Topf findet seinen Deckel, na ja … ich suche noch.
Er schüttelte den Kopf. Also, ich, ich suche nicht mehr. Wenn etwas dreimal nicht funktioniert, dann … liegt ja nicht immer an den anderen, oder?
Doch, natürlich sinds immer die Anderen Schuld, sagte sie und lachte. Das ist doch sowieso klar!
Nein, ich war Versicherungsvertreter bei der Karlsruher, dreißig Jahre lang … mir war die Arbeit immer wichtig, und manchmal verliert man den Blick aufs Ganze, dann passiert sowas.
Ja, das verstehe ich. Ist auch nicht immer einfach, alles unter einen Hut zu bekommen, ich kenne das … Beruf, Kind, Beziehung, da bleibt so einiges auf der Strecke, und dann … Sie zuckte mit der Schulter.
Haben Sie Kinder?
Eine Tochter, schon erwachsen. Also, ich meine, was heißt hier erwachsen – jedenfalls alt genug, um auszuziehen. Sie strich sich mit einer langsamen Bewegung die Haare glatt. Na ja, auch so ist das eben, irgendwannd sindse flügge und dann leben die ihr eigenes Leben. Und Sie? Haben Sie denn Kinder?
Hat sich nie ergeben. Ist nicht, dass ich nicht gewollt hätte, aber … braucht man eben auch die richtige Frau dazu.
Ich glaub, wenn ich das alles vorher gewusst hätt, dann … sagte sie und schüttelte den Kopf. Der Vater war ja gleich weg, dem ist dann plötzlich eingefallen, dass er doch lieber seine Freiheit hat … na ja, hat sowieso nicht getaugt, aber weiß man das vorher? Was weiß man denn schon vorher? Ich war jung und dumm und er fuhr einen Corado! Sie lachte. Aber ich will mich gar nicht beschweren. Ist immer irgendwie gut gegangen. Kinder werden von alleine groß, oder? Und jetzt, jetzt wohnt sie in Köln und hat alle sechs Wochen fünf Minuten Zeit für ihre Mutter. So ist das eben.
Ja, sagte er. Ist sicher nicht einfach.
Was heißt einfach? Man findet sich damit ab, wohl oder übel. Man hat ja schließlich keine Wahl, oder?
Nein, nein, das stimmt. Man hat keine Wahl.
Sie schnalzte mit der Zunge. Ich kümmere mich nur noch um mich selbst, ich will einfach mal irgendwo ankommen …
Draußen auf dem Gang knallte eine Tür. Jemand hustete.
Ist der Luwi aus dem Apartment vorne rechts … Freitagabends, da lädt der sich ganz gerne mal einen rein. Den werden Sie sicher noch öfter hören …
Ach ja, sagte sie und winkte ab. Mit besoffenen Männern kenn ich mich aus, das können Sie mir glauben. Manchmal denk ich schon, es gibt keinen mehr, der nicht an der Flasche nuckelt.
Trink seit Jahren nix mehr, sagte er und lächelte.
Ach ja? Wieso denn das? Schlechte Erfahrungen?
War, als hätt ich den Geschmack dafür verloren, für Alkohol, meine ich. Irgendwann hats einfach nicht mehr geschmeckt, da hats nur noch gebrannt im Mund. Und dann? Warum noch weiter trinken, wenns einem nicht mehr schmeckt?
Manchmal hat man das. Man verändert sich eben.
Ja, nichts bleibt, wie es ist.
Sie nickte und sah ihn an. Er senkte den Blick und betrachtete seine Fingernägel.
Als der sie angerufen hat, vorhin, sagte er und strich sich mit dem Daumen über die Unterlippe. Da haben Sie doch sofort Nein gesagt zu diesem … zu diesem Angebot, oder?
Ja, aber natürlich, was denken Sie denn? Sofort hab ich das, und was der sich überhaupt dabei denkt. Ordentlich Bescheid gesagt habe ich dem. Nein, sicher, ich habe sofort Nein gesagt.
Ist gut gewesen, sagte er.
Bei so was, also nein, niemals. Nachher denkt der noch, ich hätte, ich würde da, also nee …
Da darf man nicht zögern …
Sie schüttelte den Kopf. Sie sahen gleichzeitig zur Uhr. Es war halb elf.
Ich weiß nicht, aber ist es für Sie in Ordnung, wenn ich jetzt … Er richtete sich auf, nahm das Feuerzeug vom Tisch und steckte es in seine Jackentasche.
Ja, sagte sie. Ja, klar, natürlich. Ich halte Sie hier ja schon viel zu lange auf, das wollte ich gar nicht, Entschuldigung. Und danke, danke nochmals. Ich weiß gar nicht, was ich ohne Sie jetzt gemacht hätte, ich … ich war ja richtig durch den Wind und ich kenne ja hier auch noch niemanden.
Na ja, jedenfalls kennen Sie ja jetzt mich.
Sie lächelte. Ja, ja, das stimmt. Wir sind ja nun auch Nachbarn … das ist gut, wenn man weiß, dass man sich auf jemanden verlassen kann, finde ich. Wissen Sie, was ich meine? Das jemand da ist, dem man auch mal den Schlüssel geben kann und dem man, ja, dem man … vertraut.
Er nickte. Ich hab das gesehen – wie Sie hier eingezogen sind, meine ich, vor ein paar Tagen, da haben Sie gerade eine kleine Kommode die Treppen hochgeschleppt. War viel los, da, also hier, in der Wohnung … vorher die waren ja nie lange drin, vielleicht mal ein halbes Jahr, der eine nur ein paar Wochen, dann so Mietnomaden, die haben irgendwann einfach nicht mehr gezahlt, oder zahlen wollen viel mehr … das war ja ein Aufriss nachher, mit Ordnungsamt und Schmier und laut.
Nein, sagte sie. Ich wollt schon was länger bleiben, also das ist der Plan jedenfalls. Man weiß es ja nie vorher, kann so viel passieren, geht ja so schnell im Leben.
Klar, kann viel passieren. So ist das eben. Er stand auf und schob den Stuhl unter den Tisch.
Ich hab Sie auch gesehen, sagte sie dann. Unten bei den Mülltonnen … ich glaub, gestern war das. Und, ich muss ehrlich sagen, ich war irgendwie froh, dass Sie dann hier auf dem Gang wohnen, also gleich in der Nähe, gleich nebenan, das ist … ich weiß nicht.
Also sicher ist, der kommt nicht mehr, und wenn nochmal was sein sollte, dann …
Ja, sagte sie. Das ist wirklich nett. Ich hoffe ja nicht, aber …
Man weiß nie, oder? sagte er.
Nein, nein, man weiß nie.
Ich geh dann mal rüber, ja?
Ja, ja klar.
Sie stand auf und ging voraus, durch den schmalen Flur, der noch nach frischer Farbe roch.
Er blieb in der geöffneten Tür stehen.
Ja, sagte er. Also …
Danke, sagte sie. Ich hätte Sie nicht gefragt, nicht darum gebeten … aber Sie wirken einfach wie jemand, der weiß, was man tut, wenn einem das passiert, wenn einem sowas passiert.
Na ja, Sie wissen ja, wo Sie mich finden, also …
Sie atmete aus. Trotzdem. Einen schönen Abend wünsche ich Ihnen, auch … auch wenn nicht mehr viel davon übrig ist, tut mir ja leid.
Muss Ihnen nicht leid tun, alles gut. Er lächelte. Na dann.
Ja, sagte sie leise.
Er blieb vor der geschlossenen Tür stehen, bis das Licht im Spion erlosch.

Um diese Uhrzeit war es ruhig und dunkel im Gebäude. Er hörte die eigenen Schritte auf dem Flur. Der lange Gang, still und leer. Wie viel, fragte er sich. Fünfzig? Hundert? Er konnte die Worte in seinem Kopf so laut hören, als würde er sie aussprechen. Sie lebte jetzt neben ihm, er würde sie noch öfter sehen. Morgens, wenn er nach der Post sah. Mittags, wenn er spazieren ging. Abends, wenn er den Müll rausbrachte. Er schüttelte den Kopf. Er dachte darüber nach, bei ihrer nächsten Begegnung so zu tun, als würde er sie nicht kennen. Es war ein seltsamer Gedanke. Vielleicht würde er sie auch zu einer Tasse Kaffee einladen, sie noch mehr Geschichten aus ihrem Leben erzählen lassen, ihr Geschichten aus seinem erzählen. Kleine Geschichten, die nirgendwo hinführen und die keinen tieferen Sinn besaßen.
Er sah noch einmal in den dunklen, stillen Gang. Dann drehte er sich um und steckte den Schlüssel in das Schloss.

The ruin of a perfectly good junkyard

She said: It’s done.
I waited the whole time. I waited in the kitchen.
I drank coffee with a little Old Grand Dad.
I said nothing.
No, I said: It’s alright.

She had hired men from town, and they came early.
I didn’t watch.
I read a book by Jim Wayne Miller instead.
I just read the first line of every poem,
until the book was finished.
That’s how long it took them.

You know, a lot of these things meant something to me.
They meant something at some point.
And who says they don’t come in handy eventually?
Like, in the near future, for example?
You never know, now do you?

I lived with my wife for forty years.
She never complained.
Well …
I know, too, it had to be done.
But still.

Now all that’s left is just dirty, rotten gras.
No good.
Nothing will ever grow out of that soil.
But you never know, now do you?

She knew what it had meant to me.
She cooked pork chops with sweet potatoes for me
and drizzled cowboy candy over it.
Life goes on, I guess.

It’s the space I fear the most.
All this empty space.
The things belonged to me, I owned them.
I could do whatever I wanted with them.
Leave them in the sun.
Leave them in the rain.
Forget about them.

But who owns the space?
Tell me, who owns the space?